Südafrika – mein Leben in zwei Welten

Meine ersten Wochen – Teil 1

Seit Jahren gehe ich Tag für Tag meiner Arbeit nach und im selben Trott Woche für Woche zieht es an mir vorbei. Ein „soziales Engagement“ hatte ich dabei immer im Hinterkopf, aber niemals in die Tat umgesetzt. Als ich von dem  Social Responsibility Programm meines Arbeitgebers gehört habe, dachte ich mir „wenn nicht jetzt, wann dann?“. Und nachdem es meist am ersten Schritt scheitert, habe ich mich umgehend an die Recherche gemacht. Ich bin ziemlich schnell auf eine Seite für humanitäre Hilfe gestoßen, die (älteren) „professionals“ kein klassisches Volunteerprogramm anbietet, sondern deren Intention es ist, die Kenntnisse und Fähigkeiten an andere/NGOs weiterzugeben. Ich fand diesen Gedanken sehr ansprechend und sah vor allem auch für mich eine Chance, mein erlerntes Wissen fernab von dem Profitgedanken einzusetzen. 

Aber vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen. Mein Name ist Tobias und ich lebe in München. Mittlerweile 45 Jahre alt und seit 19 Jahren im Bereich Marketing tätig. Seit nun über 5 Jahren bin ich für ein internationales Telekommunikationsunternehmen tätig und seit mehreren Jahren glücklich verheiratet.

Ich denke, mit dieser kurzen Beschreibung meiner Person kann sich jeder vorstellen, welche Gedanken einen umtreiben. Bin ich nicht zu alt? Komme ich dort zurecht? Kann ich hier einmal alles stehen und liegen lassen? Was sagt meine Frau dazu? Aber ich habe mir gesagt „keine Gründe es nicht jetzt zu tun!“ Und so habe ich Kontakt mit „Manager für Menschen“ aufgenommen und mit Elke über verschiedene Optionen gesprochen. Einige der Möglichkeiten waren auch in Südafrika. Nachdem ich selbst schon einmal beruflich und auch für die Hochzeitsreise das Land bereist habe und ich extrem angetan war, nahm ich das auch gleich als Zeichen für „das ist es“!

Um das ganze aber etwas abzukürzen: Nach einigen Skype-Terminen, Gesprächen mit meiner Frau und Freigabenrunden meines Arbeitgebers stand mein Projekt und Ziel fest. So bin ich jetzt für Rays of Hope in Pretoria, um dort die Hilfsorganisation Lesedi la Batho zu unterstützen. 

Lesedi la Batho (LLB) bedeutet übersetzt „Licht für die Menschen“ und ist seit 2004 als ein Projekt der Organisation SA Cares und seit 2011 eigenständig tätig. Es hilft bedürftigen Bewohnern des Townships Mabopane in vielen Lebensbereichen. Hierzu zählen Bildung (Hygiene, Computerkurse, Sozialverhalten etc.), Berufsausbildung (Bäckerei, Näherei, Kindergarten etc.), Beratung bei Existenzgründung, Sportförderung, psychologische Unterstützung sowie Kinderbetreuung für berufstätige Mütter. Aber auch Hilfe für HIV erkrankte Menschen und Prosituierten gehören zu dem Aufgabengebiet. Wie auch Aufklärung und Hilfe für Schüler der umliegenden Primary- und Highschools. Ein wirklich breites Feld, das es erst einmal zu verstehen und zu begreifen gilt. 

Nach einem zwei wöchigen Urlaub mit meiner Frau habe ich dann auch meine Arbeit bei LBB angetreten. Das Office befindet sich direkt in Pretoria. Die Community befindet sich ca. 40 Minuten außerhalb von Pretoria. So war die erste Herausforderung für mich, die Arbeiten der Community zu verstehen und auch etwas mehr Einblick in das tatsächliche, hilfebedürftige Südafrika zu bekommen. Bis dato kannte ich eigentlich nur die Postkartenmotive von Südafrika und das Leben der Weißen – und in meinen Augen auch oftmals extrem Reichen. Aber dieses Südafrika steht nur für eine geringe Bevölkerungsschicht und der Großteil der Einwohner lebt auch heute noch am Existenzminimum mit keiner oder nur geringer Schulbildung, und die Gewalt ist außerhalb der Villen und „Weißenviertel“ allgegenwärtig. 

Nach 14 Tagen hatte ich dann einigermaßen einen Eindruck von der Arbeit, den Umständen, aber auch von den Problemen und „liegengelassenem“ Potential.

Meine „Arbeit“ anfänglich war es, alles aufzusaugen und mir unvoreingenommen ein Bild zu machen. Der erste Eindruck war wirklich sehr positiv und vor allem wurde ich überall herzlich aufgenommen. Aber dennoch ist man erstmals über die Umstände und die zur Verfügung stehende Ausstattung verwundert. Aus Deutschland kommend, haben wir mittlerweile eine übertriebene Anforderung an Hygiene, Ausstattung von Büro- und Schulräumen und Equipment, das man zur Arbeit erwartet. Hier ist es doch deutlich einfacher und dennoch wird auf Reinheit und Ordnung geachtet. 

Eines der Probleme ist für mich die notorische Unterbesetzung gerade im Office von Lesedi. Was natürlich bedeutet, dass wenig „Headcosts“ entstehen und jeden Sponsor freut, aber auch dazu führt, dass immer nur die aktuell anstehenden Arbeiten und Probleme gelöst werden. Unter solchen Umständen, und teilweise mit dem fehlenden fachlichen Wissen, bleiben Prozesse, Ideen, Strategien und eine klare Linie auf der Strecke. Auch für mich waren daher die ersten Wochen bzw. Monat von „troubleshooting“ geprägt. So habe ich an einem Tag geholfen, die Excelsheets für Reporting upzudaten, mit Herstellern korrespondiert, um defekte Nähmaschinen reparieren zu lassen und für die im Mai anstehende Career Expo Aussteller zu akquirieren. Sicherlich sind das Arbeiten, die verrichtet werden müssen, aber in meinen Augen kann dies nicht alles gewesen sein. Nach nun mehr als fünf Wochen habe ich doch einige Vorstellung und ich denke, auch für das Projekt förderliche Ideen, die auf jeden Fall noch angegangen werden sollten. 

Wie es bei Lesedi weiterging, was ich neben der Arbeit sonst so erlebt habe, welche Behördenprobleme ich erlebt habe und wie es zu dem Blog-Titel kommt, werde ich in meinem nächsten Post verraten. 

Marketing für Social Businesses

Marketing. Ein Wort, das so vieles bedeuten kann.

Für mein Bachelor-Studium hatte ich mich 2008 für den Studiengang „Internationales Marketing“ entschieden. Im Master-Studium ging es mit dem Programm „Internationale Marketingstrategie“ weiter. Direkt im Anschluss bin ich im Produktmarketing eines niederländischen Großkonzerns eingestiegen, und 5 Jahre lang dabei geblieben.

Persönlich interessiere ich mich für soziale und umweltbezogene Themen. Ich möchte Dinge verändern, anpacken, Herausforderungen meistern und zu einer besseren Welt beitragen. Durch einige Recherchen bin ich recht schnell auf die Begrifflichkeit „Social Business“ gestoßen, ein wirtschaftliches Konzept, das auf den Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus zurückgeht. Demnach zeichnet sich ein Social Business dadurch aus, dass wirtschaftliche Erfolge erzielt werden, jedoch zu 100% in das Sozialunternehmen und seinem gesellschaftlichen Ziel reinvestiert werden. Der gesellschaftliche Beitrag als nachhaltiger, sozialer Gewinn steht demnach im Fokus; nicht der Profit.

Nach 5 Jahren habe mich also für eine Auszeit von meinem Konzernleben entschieden, und bin über Elke von Manager für Menschen und Urs und Erna von EOS Entrepreneur Foundation nach Nicaragua aufgebrochen, um Sozialunternehmerinnen beim Aufbau ihres Business zu helfen und Marketing für einen guten Zweck anzuwenden.

Spannend für mich war die Frage: Funktioniert Marketing für sozial orientierte UnternehmerInnen genauso wie für Profit orientierte?

Meine Arbeit in Nicaragua hat mir gezeigt, dass die grundlegenden Bausteine und Prinzipien des Marketings gleich sind.

Es gibt jedoch einen, wie ich finde, sehr wichtigen Unterschied.

Durch die Plattform REDFworkshop bin ich auf ein Konzept gestoßen. Direkt in den ersten Tagen, in denen ich mit den Sozialunternehmerinnen unterwegs war um neue Kunden zu gewinnen, habe ich erkannt, dass genau diese Erkenntnis helfen kann, eine der größten Herausforderungen der Sozialunternehmerinnen zu meistern: Wie kann ich mein Business in einem unterentwickelten Land, in welchem 45% der Bevölkerung von weniger als 1 USD am Tag lebt, so vermarkten, dass die Bevölkerung den Mehrwert erkennt und bereit ist, dafür zu bezahlen?

„Unlike most for-profit consumer businesses, many social enterprises don’t start their businesses by creating a product that is filling an unmet consumer need. For most social enterprises, the starting point is the mission.“

REDFworkshop

Die Grafik veranschaulicht, das neben dem Produkt (oder Service), die Mission / der gute Zweck, das Social Business selbst, und die Marke den Kern der Unternehmung darstellt. Sprich, es wird mehr verkauft als das „Produkt“.

Natürlich gibt es in jedem Unternehmen auch eine Marke. Diese dient in herkömmlichen Unternehmen jedoch in erster Linie dem Zweck der Identität und Bekanntheit. In Sozialunternehmen scheint es ein wesentlicher Bestandteil des Gesamtpakets zu sein, wenn man sich mit der Frage „was biete ich an“ beschäftigt.

Es war eine der Dinge, die wir im Projekt in Nicaragua als Erstes angepackt haben.

Bevor ich kam, dachten die Sozialunternehmerinnen, dass sie den Service „Blutzuckerspiegel messen“ anbieten.

In Wirklichkeit haben wir gemeinsam erarbeitet, dass es viel mehr ist als das:

  • Produkt/Service: Blutzuckerspiegel messen
  • Mission: Zu einer gesünderen Community beitragen
  • Social Business: Prävention und Kontrolle von Krankheiten zu Preise, die sich jeder leisten kann
  • Marke: Emprendedoras Sociales – ein Programm, welches Frauen dazu befähigt ein eigenes Business zu entwickeln, und somit Arbeitsplätze kreiert, die es vorher nicht gab

Das Ergebnis:

  1. Mehr Vertrauen und mehr Motivation rauszugehen und über das eigene Business zu sprechen
  2. Mehr Kundschaft, die den Mehrwert des Business realisieren und weniger den Preis des tatsächlichen Produktes / Services hinterfragen

Jetzt heißt es: üben, üben, üben.

Nicaragua?

Nach 5 Jahren im Großkonzern, habe ich meinen Job aufgegeben und nach einer Möglichkeit gesucht, meine Kenntnisse im Marketing und Business-Development für einen guten Zweck anzuwenden.

Nachdem ich auf Manager für Menschen gestoßen bin, war meine erste Intuition: Afrika. Ich wollte immer schon einmal auf diesen Kontinent reisen, vor allem getrieben durch meine Begeisterung für Natur und fremde Kulturen. Die ersten Gespräche liefen gut.

Gleichzeitig hatte Elke mitbekommen, dass ich Spanisch in der Schule und durch mein Auslandsstudium in Mexiko gelernt habe, und dass dies in Kombination mit Marketing perfekt zu den Projekten der Schweizer Organisation EOS Entrepreneur Foundation passen könnte, die Sozialunternehmen in Kolumbien und Nicaragua unterstützt. Kolumbien fand ich als Reiseziel immer schon faszinierend. Nachhaltiger Kakao-Anbau als Projektthema durch meine Affinität für gesunde Ernährung ebenso. Also organisierten wir ein Telefonat mit Urs und Erna von EOS.

Und sie erzählten mir von Nicaragua. Von einem Projekt, dass sich mit dem Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen in unterversorgten Gegenden beschäftigt. Zugegeben, ich hatte mich zuvor weder mit dem Land befasst, noch hatte ich medizinische Vorkenntnisse. Ich erinnere mich, dass es extrem schwierig für mich war, mich in das Projekt hineinzuversetzen und die Inhalte zu verstehen, einfach da es ein komplett neues Umfeld war, weit weg von meinen bekannten Konzern-Strukturen, und auch weit weg von sonstigen Erfahrungen, mit denen ich das Gehörte hätte verknüpfen können. Und dennoch sagte mein Bauchgefühl: Nicaragua it is.

Warum? Ich weiß es nicht. Getreu dem Motto, dass es manchmal in Ordnung ist keine Antwort auf eine Frage zu haben, und passend zu einem meiner Lieblingszitate „Wenn nothing is sure, everything is possible“, bin ich meinem Bauchgefühl gefolgt und habe mich eingelassen auf die Reise in das Unbekannte.

Was kann ich euch auf die Reise mitgeben?

Hört auf euer Bauchgefühl! Und seid mutig. Passend dazu habe ich kürzlich die folgende Grafik entdeckt.

Ja, ich war zunächst zögerlich. Zu der normalen Angst vor dem Unbekannten, kamen Bedenken zur Sicherheit im Land Nicaragua hinzu. Jeder, der die Nachrichten verfolgte, konnte nicht nachvollziehen, wie ich mich für solch ein Land entscheiden konnte. Viele meinten beurteilen zu können, dass es gefährlich sei, in ein Land zu reisen, das geprägt zu sein schien von Ausschreitungen, Protesten und Gewalt auf den Straßen.

Ein kleiner Denkanstoß: Wenn wir die Bilder des G20 Gipfels in Hamburg Revue passieren lassen, und ein Nicaraguaner zu der Zeit auf Basis des Nachrichtenwesens hätte beurteilen sollen, ob es sicher sei nach Deutschland zu reisen: Wie hätte er sich wohl entschieden? Und was hättet ihr als Deutscher geraten?

Natürlich nicht ganz vergleichbar, aber ähnlich ging es mir mit Nicaragua: Die Leute vor Ort berichteten, dass sich die Lage auf den Straßen entspannt hat. Für mich habe ich die Entscheidung getroffen, dass Nicaragua als zweitärmstes Land in der westlichen Hemisphäre, in welchem 45% der Leute von weniger als 1 USD pro Tag leben, in Zeiten von Krisen und Unsicherheit erst recht internationale Hilfe benötigt! Nicaragua zählte zu den friedlichsten Ländern, und hat innerhalb von 3 Monaten eine komplette Kehrtwende erlebt. Es wird erwartet, dass die Arbeitslosigkeit von 4,4% in 2018 auf 24% in 2019 steigt (kommend von 8,2% in 2009). Menschen verloren ihre Arbeit, da es nicht sicher war, auf die Straßen zu gehen. Viele internationalen Organisationen haben das Land verlassen. Tourismus ist auf 10% des vorherigen zurückgegangen. Restaurants und Hotels mussten schließen.

Was ein Land wie Nicaragua in solchen Zeiten braucht, ist Hoffnung und Mut! Und zurückblickend war meine Entscheidung das beste, was mir hätte passieren können. Denn so bin ich bei AMOS Health & Hope gelandet, eine Organisation, die durch Empowerment und Education für ein gesünderes Nicaragua kämpft.

Nicaragua ist eines der menschlichsten Länder, in die ich bis dato gereist bin. Was mich erwartet hat, war Herzlichkeit und Wärme. Jeder kümmert sich um den Nächsten, die Menschen sind hilfsbereit und interessiert. Es gibt viel Nachholbedarf was das Bildungsniveau angeht, jedoch sind die Menschen extrem positiv und lernbereit. Kaffee, die morgendliche Begrüßung von jedem Einzelnen, herzliche Umarmungen und ein kurzer Schnack stehen an erster Stelle, bevor es an die alltägliche Arbeit geht.

Was durch die politische Situation zudem in Vergessenheit gerät: Die beeindruckende Natur, die Nicaragua zu bieten hat. Mit einer Vielzahl an Vulkanen, Flüssen, Seen und Lagunen, ist Nicaragua bekannt als „Land der Seen und Vulkane“. Sowohl an der Karibik- als auch Pazifikküste können die unberührtesten und schönsten Strände gefunden werden, für lange Spaziergänge, ohne einer Menschenseele zu begegnen, oder für Surf-Sessions in der Abendsonne. Für mich als Deutsche, die genug von all dem Überfluss hatte, in dem wir in Europa leben, genau das Richtige zum Genießen und Abschalten! Und um sich mal wieder daran zu erinnern, was wir wirklich im Leben brauchen, um glücklich zu sein.

Ich weiß nicht wie es euch geht. Wenn ich magische Plätze auf dieser Erde entdecke, möchte ich sie manchmal am liebsten für mich behalten, damit sie in ihrer Unberührtheit erhalten bleiben. Und zeitgleich weiß ich, dass das Land einen neuen Schwung an Touristen benötigt, damit sich das Land und Menschen Stück für Stück von der Krise erholen können, Energie und Kraft zurückgewonnen werden kann, Arbeitsplätze geschaffen und Restaurants und Hotels wieder eröffnet werden können.

Das Land hat so viel zu bieten. Und ich kann wirklich nur jeden ermutigen, der über eine Reise nach Nicaragua nachdenkt: do it. Natürlich am besten kombiniert mit sozialem Engagement – es gibt in jedem Fall genug zu tun.

Wenn ihr Tipps benötigt oder mehr erfahren möchtet, kommt sehr gerne auf mich zu. Für mich geht es in 4 Wochen leider schon wieder zurück. Aber ich bin mir sicher: Ich werde wiederkommen.