Same same but different
Drei Wochen. Heute vor drei Wochen bin ich in Dar es Salaam angekommen. Ich habe das Gefühl, ich bin gerade einmal ein paar wenige Tage hier. Ich habe mir vor meiner Abreise wieder und wieder gesagt, dass ich nicht werten will. Ich habe mir fest vorgenommen, dass ich dieses Land, seine Menschen und seine Kultur wahrnehmen möchte, kennenlernen will, ohne sie gleich auseinanderzunehmen. Ich wollte keine Rangordnung aufstellen, was besser oder schlechter ist, welche Lebenskonzepte die richtigen sind, weil ich fest davon überzeugt bin, dass es keine richtigen Lebenskonzepte gibt. Es gibt viele unterschiedliche Arten zu leben, und keine ist besser oder schlechter als die andere. Soweit die Theorie. Wie das so üblich ist, sieht die Praxis etwas komplizierter aus. Ich hatte heute ein Gespräch über die Rolle der Frauen in Tansania. Meine Gesprächspartnerin hat ihre Sicht der Dinge erzählt, und ich die meinige. In Tansania findet man das, was wir als „klassische Rollenverteilung“ kennen. Die Frau kümmert sich um Haus und Hof, wäscht, kocht, putzt, und geht zusätzlich noch arbeiten. Der Mann kocht nicht. Oft noch nicht mal einen Tee. Falls die Frau auswärts arbeiten geht, muss sie nach Feierabend als erstes ihren Mann versorgen. Natürlich gibt es die tansanische Frau oder den tansanischen Mann nicht – das sind Pauschalisierungen, die in vielen Fällen nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Jeder Mensch lebt individuell. Es gibt auch hier unterschiedliche Lebenskonzepte. Bei diesem Thema fällt mir das nicht-werten relativ leicht. Ich kann für mich sagen, dass es nicht mein Lebenskonzept wäre. Dass ich ganz anders leben möchte, als dies hier der Fall ist. Ich kann verstehen, dass meine persönliche Vorstellung der Geschlechterrollen nicht das Mantra für die ganze Welt ist. Sie ist nicht besser oder schlechter als die Vorstellung einer sogenannten klassischen Geschlechterrolle. Sie ist einfach anders. Nicht mehr, und nicht weniger. Ich bin ein Gast in diesem Land. Ich würde nicht auf die Idee kommen, den Männern hier zu sagen, dass sie kochen lernen sollen. Wenn ich von anderen Freiwilligen höre, auf welche Art und Weise gewisse deutsche Organisationen versuchen, westliches Kulturgut an den tansanischen Mann und an die tansanische Frau zu bringen, dann wird mir regelrecht übel. Mit welchem Recht, frage ich mich dann. Was gibt uns das Recht, Lebenskonzepte für die ganze Welt zu definieren? Unsere wirtschaftliche und technische Entwicklung?
Dann gibt es Themen, bei denen es mir schwer fällt, nicht zu werten. Hexenverfolgung, Übergriffe auf Albinos, weibliche Genitalverstümmelung, Korruption. Dann meldet sich mein westliches Kulturverständnis: Wie kann man nur? Aber wo ist die Grenze? Mit meiner Argumentation von oben wäre zum Beispiel Hexenverfolgung ein Thema, das keinesfalls von westlichen Einrichtungen bekämpft werden dürfte. Wenn dagegen angegangen wird, dann sollte die Initiative von Einheimischen kommen. Was aber, wenn diese niemals kommt? An diesem Punkt bleibe ich jedes Mal hängen. Ich komme nicht weiter, stecke quasi fest. Zusehen, nichts machen? Wie kann man zusehen, wenn Menschen aufgrund ihrer wahrgenommenen Hexenkraft getötet werden? Eingreifen, „aufklären“? Was, wenn es wirklich Hexen gibt? Ich glaube nicht daran. Die Person, die das hier gerade liest, sicher auch nicht. Aber – haben wir die Wahrheit etwa für uns gepachtet (falls es überhaupt eine Wahrheit gibt)? Man stelle sich nur einmal vor, eine tansanische Einrichtung würde anfangen in Deutschland workshops anzubieten, in denen erklärt wird, woran man Hexen erkennt und wie man diese unschädlich macht. Undenkbar! Aber genau das passiert. Nur mit vertauschten Rollen.
Das nächste Mal schreibe ich endlich was über meine Arbeit hier. Versprochen.