Extremer Perspektivwechsel
Innovative Konzepte entwickeln trotz komplexer Strukturen und wenig Ressourcen – das lernen Manager unter Extrembedingungen.
Letzten Samstag haben wir den Abschied von Namaste gefeiert. Ich und die meisten meiner Volontäreskollegen werden in den nächsten Tagen zurück nach Hause fliegen.
Wir haben überlegt, was wir organisieren könnten, um den Kids eine Freude zu machen. Kino, Bootsausflug, Fußballspielen? Das alles hatten wir schon. Deswegen haben wir entschieden, zur Abwechslung für einen ganzen Tag besonderes Essen zu sponsern. Wir haben die Hausmutter gefragt, was die Kids sehr gerne mögen, aber normalerweise nicht bekommen. Und die Antwort war….Pommes! Das zeigt mir schon wieder, dass die Kinder auf der ganzen Welt irgendwie ähnlich sind ;-).
Also haben wir über 10 Kilo bester Kartoffeln auf dem Markt gekauft und geschält und geschnitten wie die Weltmeister!
An unserem Abschiedstag gab es natürlich nicht nur Pommes, sondern auch kiloweise bestes Hähnchenfilet, Austernpilze, Reis mit Kokosstückchen und Nüssen, Früchteauswahl, Schokolade und vieles mehr.
Laxmi, unsere tolle Köchin, hat aus allem, was wir eingekauft haben, ein leckeres Essen gezaubert. Und das für 60 Leute!
Ja…..dieses Gefühl der tiefen Zufriedenheit, das wahrscheinlich die meisten Eltern kennen, wenn ihre Kids glücklich am Tisch sitzen und die vorbereiteten Speisen verschlingen. Bei Namaste hatte ich das Gefühl fast immer, wenn ich den Kindern beim Essen zugeschaut habe. Keine Ahnung warum, da nicht ich die Köchin war…
An diesem speziellen Tag war es uns wichtig, dass es keine Rationierung gibt und die Kids von allen Speisen soviel bekommen, wie viel sie schaffen können. Ich musste so lachen, als unser dünne Umehs (im Bild oben der Junge in dem weißen Shirt) nach dem Essen zu mir kam, auf seinen voll gefüllten, „schwangeren“ Bauch zeigte und zufrieden sagte: Auntie…two babies :-) :-) :-)
Aber es gab nicht nur das Essen. Auch für die Unterhaltung haben wir gesorgt und ein Torwandschießen-Wettbewerb organisiert. Die Wand haben meine Kollegin Sofia und ich bei einem Handwerker um die Ecke bestellt, damit die Jungs ihre Schießtechnik trainieren können.
Bei unserem Wettbewerb hatte jedes Kind 6 Schüsse frei. Die Drei mit den meisten Treffern haben tolle Preise gewonnen. Für die Verlierer gab es jeweils eine Tafel Schokolade…
In ein paar Tagen werden wir schweren Herzens Abschied voneinander nehmen. Es ist an der Zeit, ein Fazit zu ziehen.
Was hat mein Aufenthalt hier also gebracht?
Als „Berater auf Zeit“ konnte ich der Organisation mit meinem Marketing-Wissen sicherlich etwas helfen. Die Unterlagen, die ich mit der wunderbaren Hilfe von meinen ehemaligen Kollegen für die Europareise von Visma vorbereitet habe, kommen bei den Leuten dort sehr gut an.
Auch die „Walk for Kids 2015“ Aktion, die wir zusammen entwickelt haben, findet jetzt schon viel Gefallen. Übrigens – eine tolle Geschenkidee für Weihnachten :-) . Für 50 Euro kann man einen virtuellen Teil des Walks erwerben und mit etwas Glück ein echtes Annapurna-Trekking mit den Kids in Oktober 2015 gewinnen. Das eingesammelte Geld wird ausschließlich für Essen, Kleidung und Ausbildung der Kinder von Namaste Children’s House ausgegeben.
Für mich war es interessant zu erleben, wie man ohne einen einzigen Euro an Marketing-Budget doch einiges auf die Beine stellen kann. Natürlich in einer anderen Qualität, als in den großen Marketingabteilungen, aber der „Hand-Made-Look“ hat auch seinen Charme.
Konnte ich „die Welt“ verändern?
Nein! Es war auch nicht meine Absicht, als ich hier herkam. Ich habe den Kindern etwas Unterhaltung geboten und etwas Geld gespendet. Alles wie „ein Tropfen auf den heißen Stein“.
Aber ICH habe hier viel Energie und Kraft getankt. ICH habe viel über mich selbst erfahren. ICH habe begriffen, was für ein „auserwähltes Leben“ wir in Deutschland führen dürfen.
Ich frage mich jetzt, so kurz vor Weihnachten, ob ich jemals wieder mit leichter Hand soviel Geld für das Spielzeug für meine Neffen ausgeben kann, das nach ein paar Tagen sowieso in der Ecke landet, wenn ich weiß, dass die vielen Kinder, die ich so lieb gewonnen habe, so wenig haben…
Die Welt hier hat MICH verändert. Wie sehr?…. Das werden meine Familie und Freunde zuhause sicherlich viel besser beurteilen können.
Ich war auf einem 10-tägigen Trekking zum Annapurna Base Camp. So richtig „komfortabel“ mit einem Guide und einem Träger. Und nein, ich hatte kein schlechtes Gewissen, weil jemand meine Sachen getragen hat. Ich wusste, dass Sawa – unser Helfer – mit solchen Touristentouren viel mehr Geld verdient als mit seinen sonstigen Jobs. Es passte also.
Aber ich will heute nicht unbedingt über das Trekking sprechen, auch wenn Sawa eine Rolle in meinem Beitrag spielen wird.
Sawa ist ca. 35-40 Jahre alt. Vater von zwei Kindern – 1 und 4 Jahre alt. Zwei Jungs. Sawa ist nett. Er hat sich wunderbar um uns und unsere Sachen gekümmert. Dabei immer ganz freundlich gelächelt. Und am Ende von unserem Trek fragte mich der nette Sawa ganz ernst, ob ich seine Kinder in unserem Waisenhaus unterbringen kann….WAS FÜR EIN SCHOCK!!!
Bis zu diesem Zeitpunkt waren für mich die Eltern, die ihre Kinder in die Waisenhäuser abschieben, seelenlose Monster. So gar nicht ähnlich dem herzlichen und fleißigen Sawa…
Als Visma vor 11 Jahren das Namaste Children’s House gegründet hat, gab es außer seinem nur 2 andere Waisenhäuser in Pokhara. Jetzt gibt es mehr als 70 davon!
Man kann sich dem Eindruck nicht erwehren, dass es jetzt mehr um ein Geschäft, als um humanitäre Hilfe für die Waisen geht. Manche Eltern wollen ihre Kinder in ein Waisenhaus schicken, wie bei uns auf ein gutes Internat. Nur dass man dafür kein Schulgeld bezahlen muss. Die Ausbildung, Verpflegung und Unterkunft werden einfach durch die internationalen Spenden finanziert…Das ist irgendwie nicht der Sinn der Sache.
Was tun also?
So gesehen wollen diese Eltern auch nur das Beste für ihr Kind. Und das ist nicht ironisch gemeint. Ich bin fest überzeugt, dass es auch Sawas Absicht war, als er mich gebeten hat, seine Kinder mit nach Pokhara zu nehmen…
Was läuft falsch in Nepal? Was muss sich ändern, damit Waisenhäuser nicht als bessere Alternative zum Leben in der eigenen Familie gelten?
Die nepalesische Regierung hat dieses Problem erkannt und ein Gesetzt erlassen, das die Eröffnung weiterer Waisenhäuser und die Aufnahme neuer Kinder deutlich erschwert. Eine Lösung ist es sicherlich nicht!
Was Hoffnung macht, sind die Privatinitiativen, wie diese von Visma mit dem Namaste Community Support Centre. Er will das Übel an der Wurzel packen und gleich da bekämpfen, wo es entsteht. Also auf dem armen, unterentwickelten, ungebildeten Land. Da wo das Kastensystem mit seinen strengen Regeln viele zu Verzweiflungstaten zwingt und verwitwete oder verlassene Mütter so gut wie keine Chance haben, für ihre Kinder zu sorgen.
Wenn die nepalesische Dorfbevölkerung stärker wird, dann wird auch Nepal stärker – das ist „Vismas Vision“.
Das erste Namaste Community Support Centre entsteht gerade in Ghachowk, einem Dorf ca. 17 km von Pokhara entfernt – was bei diesen Straßenverhältnissen fast 1,5 Stunden abenteuerliche Autofahrt bedeutet.
Unter enger Einbeziehung der lokalen Bevölkerung will Visma in Ghachowk ein Beispiel für die zukünftige Entwicklung in Nepal setzen. Auf einem 26.000 qm großen Stück Land sollen ein Heim, ein Beratungs- und ein Schulungszentrum für die bedürftigen Frauen und Kinder aus der Region enstehen.
Mehr als die Hälfte des Grundstücks in Ghachowk soll für die einkommen-bringende Landwirtschaft genutzt werden. Einerseits um die Organisation weniger abhängig von den Hilfsgeldern zu machen, anderseits um die Dorfbevölkerung darin zu schulen, wie man ökologische und effiziente Landwirtschaft betreiben kann.
Visma möchte später seine Namaste-Kinder aus der Stadt raus und aufs Land bringen. Sie sollen in einer Dorfgemeinschaft aufwachsen, nützliches Handwerk erlernen und als junge Erwachsene und Vorbilder in ihre Dörfer zurückgehen, um von dort aus die Entwicklung voranzutreiben.
Die Idee ist sehr gut, aber nicht einfach in der Umsetzung. Der Weg dorthin lang und teuer. Mit dem Kauf eines symbolischen Ziegelsteines für 50 Euro kann man aber schon jetzt „Vismas Vision“ unterstützen.
Und Sawa? Nachdem ich ihm erklärt habe, dass Waisenhäuser für die Kinder sind, die keine Eltern haben, hat er kurz nachdenklich genickt und dann geschwiegen. Als wir nach dem Trekking zurück in Pokhara waren, habe ich ihn auf eine Shopping-Tour mitgenommen. Die Riesenfreude auf seinem Gesicht, als wir eine warme Winterjacke für seinen älteren Sohn gekauft haben, hat mir bestätigt, dass er doch ein liebender Vater ist…