Gangart-Wechsel

Anne ist als Volunteer Expert für 2 Monate im Projekt Fadhili Teens in Mwanza / Tanzania.

In den ersten Tagen war es für mich eine große Herausforderung beim morgendlichen Gang zum Bus oder wenn ich zu Fuß in der Stadt unterwegs war, auf dem Gehweg hinter den Menschen zu bleiben, die vor mir hergingen. Warum? Alle, die mich kennen, wissen, dass ich eine Schnell-Geherin bin. Für mich gibt es die Gangart “Schritt” eigentlich nicht. Es gibt den Trab als Standard-Gangart und dann noch den Galopp, wenn ich es eilig habe. Aber eigentlich habe ich es immer irgendwie eilig und mir leuchtete bisher auch nicht wirklich ein, WARUM ich langsam gehen sollte.

Und jetzt dann hier in Tansania. Hier gehen eigentlich alle gemächlich, in meinen Augen geradezu SEHR langsam. Ich dachte mir dann, es könnte ja eine gute Übung für mich sein, einfach mal nicht zu überholen, so als persönliche „challenge“. Mich dem hiesigen Tempo anzupassen. Ihr könnt es euch denken: gar nicht so einfach. Und so habe ich es auch kaum jemals geschafft, hinter meinem Vor-Mann oder meiner Vor-Frau zu bleiben.

Und dann dieser Tage auf einmal das: Ich gehe zum Bus hinter einer Frau mit einem Korb voller Tomaten auf dem Kopf. Ich beobachte sie von hinten, ihren aufrechten ja geradezu stolzen Gang. Ich frage mich, wie schwer der Korb wohl ist und wie es ihr gelingt, die Balance zu halten. Dann sehe ich in einem Baum auf einmal wieder einen dieser leuchtend blauen Vögel und bewundere seine wahnsinnige Farbintensität. Mein Blick geht wieder nach vorne und vor mir liegt der Viktoriasee. Ich lächle vor mich hin und stelle voller Verwunderung fest, dass ich gar keinen Impuls verspürt habe zu überholen.

Die Veränderung ist passiert, ganz einfach so. Ohne oder sogar trotz meines Zutuns. Nicht meine persönliche Challenge oder meine eigenen aktiven Versuche haben dazu geführt, dass ich nicht überholt habe sondern vielmehr das Loslassen des eigenen Vorsatzes. Ein Einlassen auf meine Umgebung, auf den Rhythmus hier. Ein Loslassen meiner eigenen tiefen Überzeugung, dass ich nur rennend zum Ziel komme. Und auf einmal ändert sich meine Wahrnehmung, erweitert sich mein Blickwinkel aufgrund des veränderten Tempos.

Das ist keine einfache Sache für jemanden wie mich mit einer so starken westlichen Prägung aus “weiter, schneller, höher”, aus Streben und Anstrengung und in neueren Zeiten auch Selbstoptimierung. Daher bin ich dankbar, dass ich meine Komfortzone verlassen und mich auf diesen Perspektivwechsel eingelassen habe.

Mein Arbeitsplatz in Tanzania

Anne ist als Volunteer Expert für 2 Monate im Projekt Fadhili Teens in Mwanza / Tanzania.

Auf den ersten Blick sieht mein Arbeitsplatz nicht so viel anders aus als in Deutschland und doch ist der Arbeitsalltag hier ein völlig anderer.

  • Mein Tag richtet sich nicht nach meinem Outlook Kalender. 
    Termine geschehen hier eher auf Zuruf und Zeitangaben sind als grobe Anhaltspunkte zu verstehen
  • Äußere Einflüsse nimmt man mit großer Gelassenheit hin: Stromausfall, Wartezeit an der Fähre, Straßensperrungen, starker Regen, der verhindert, dass man zu den Familienbesuchen kann
  • Die Strukturen auch in unserem kleinen Unternehmen sind noch sehr hierarchisch
  • Tempo: Input mit Bedacht einbringen, einen Impuls geben, ihn wieder aufgreifen und dann abwarten.
  • Was genau so ist wie in Deutschland: ich habe tolle Kollegen, die mit ihrem Herzen bei der Arbeit sind und wir lachen viel miteinander!

Aber ich verbringe ja auch nur einen kleineren Teil meiner Arbeit am Schreibtisch.

An den anderen Tagen begleite ich meine Kollegen– „out into the field“, wie man hier so schön sagt. Das heißt, wir besuchen zum einen die Familien der Kinder mit Behinderung, die von unserem Programm unterstützt werden und zum anderen betreuen wir einen Girls Club an einer Sekundarschule sowie eine Gruppe junger Frauen in einem Dorf. Die „fieldwork“ ist für mich völlig ungewohnt und mitunter herausfordernd. Der Einblick in die Lebensrealitäten, die sich so unvorstellbar von meiner eigenen in Deutschland unterscheiden. Weite Fahrten zu den Familien draußen auf dem Land. Lehmhütten ohne Strom und Wasser fernab von Infrastruktur und Krankenhaus. Großmütter, selber gebrechlich und fast blind, die ihre Enkelkinder betreuen, weil die Mütter fernab einem Broterwerb nachgehen und die Männer verschwunden sind.

Zu unseren Girls Groups reisen wir mit dala dala (Minibus), Fähre und dann dem boda boda (Motorradtaxi). Eine Fahrt dauert ca. 2 Stunden. Dort versuche ich gerade, mit der Kollegin neue Dinge auszuprobieren, z.B. ein HIV Quiz, Gruppenspiele und Integration von Bewegung. Die Mädchen sollen im Girls Club eine gute Zeit haben, lachen können und spielerisch lernen, da der sonstige Schulalltag ja im Wesentlichen aus Frontalunterricht und dem Wiederholen dessen, was der Lehrer vorträgt, besteht. 
Nach diesen Tagen draußen im Feld bin ich erschöpft und überwältigt. Ich bin beeindruckt zu sehen, wie die Hilfe ankommt mitunter aber auch traurig, frustriert und wütend, weil es eigentlich nie genug ist. Es ist schwer auszuhalten, dass wir eben nur einen Teil beitragen und nicht alle Probleme lösen können.

Ich bin sehr dankbar für diese Einblicke, dafür, einen anderen Arbeitsalltag und eine andere Unternehmenskultur kennenlernen zu dürfen. Es gibt mir die Gelegenheit zu reflektieren, was mir persönlich in meiner Arbeit wichtig ist, was ich hier vermisse und was ich vielleicht auch mitnehme von hier für die Zeit nach meiner Rückkehr.

Bildungsgerechtigkeit?!?

Anne ist als Volunteer Expert für 2 Monate im Projekt Fadhili Teens in Mwanza / Tanzania.

Es wird in letzter Zeit häufiger diskutiert in Deutschland über den vorherrschenden Lehrermangel und über das Thema Bildungsgerechtigkeit.

Ich besuche im Rahmen meines 2-monatigen Volunteeraufenthalts hier in Tansania jede Woche mit meiner Kollegin eine öffentliche secondary school im ländlichen Raum in der Nähe von Mwanza. Wir bieten dort einen „girls club“ an, wo die Mädchen in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden, Aufklärung erhalten zu Themen wie Sexualität, Menstruation, Schwangerschafts- und Gewaltprävention und sich im geschützten Rahmen austauschen können.

Bei unserem Besuch diese Woche hat der Direktor von seinen Herausforderungen erzählt. Ein paar Fakten:

  • knapp 1200 Schüler:innen besuchen die Schule
  • es gibt 25 Lehrer:innen
  • davon sind 6 „science teacher“, d.h. unterrichten Mathematik, aber auch Chemie, Physik, Biologie, jedoch nur 4 in Vollzeit
  • er hat eine Bewerbung für einen part-time teacher (diese sind noch in Ausbildung) auf dem Tisch liegen, erzählte uns jedoch resigniert, dass dieser absagen werde, wenn er ihm sein Gehalt mitteilt: 150.000 tansanische Schilling (ca. 63 Euro)/Monat und lieber an eine private Schule ginge um selber sein Auskommen bestreiten zu können
  • die Kinder legen im Schnitt 6-7km Fußweg zurück für die einfache Strecke zur Schule

Unsere Tochter besucht in Köln auch eine „secondary school“ in etwa gleicher Größe. Sie läuft 15 Minuten zu Fuß zur Schule oder nimmt den Bus mit dem bezuschussten Monatsticket. Ja, es gibt mitunter Unterrichtsentfall, über den ich mich dann ärgere. Aber die ca. 1000 Schülerinnen werden von knapp 90 Lehrer:innen unterrichtet. Wie viele Mathelehrer darunter sind, weiß ich nicht genau, aber zumindest so, dass die vorgesehenen 5 Wochenstunden Mathe in der 7. Klasse in der Regel unterrichtet werden.

Diesen erweiterten Blick auf das Thema Bildungsgerechtigkeit im globalen Kontext ermöglicht mir mein Volunteer Aufenthalt hier.

Zukunft statt Zeugs!

Bist du noch auf der Suche nach einem sinnvollen Weihnachtsgeschenk?
Dann hätte ich eine Idee für dich!

Schenke doch in diesem Jahr einfach einmal Zukunft statt Zeugs!
Tanzania hat mehr als 18.000 Grundschulen. 95% davon sind Regierungsschulen, an denen keine Schulgebühr verlangt wird. Eine Schuluniform ist jedoch Pflicht und viele der Familien insbesondere in ländlichen Gegenden können sich diese nicht leisten. Mit nur 10 Euro kann ein Kind mit einer Schuluniform ausgestattet werden und hat so die Chance auf ein selbstbestimmteres Leben.


NIVISHE NISOME – Zieh mich an, damit ich lernen kann! So heisst das neue Projekt von Tabasamu e.V., bei dem noch jede Menge Unterstützung benötigt wird. Mehr Infos findest du auf der Webseite www.tabasamu.org und https://nivishenisome.co.tz/

Du willst dieses Jahr Zukunft schenken? So gehts!

Tabasamu e.V.
Triodos Bank Deutschland
IBAN DE 75500310001053727006
BIC TRODDEF1

oder via Paypal:
info@tabasamu.org
PayPal.me/tabasamu

Ich sage auch im Namen von Tabasamu e.V. herzlichen Dank – ASANTENI SANA und wünsche euch eine frohes Weihnachtsfest und einen guten Start in 2022!

No hurry in Africa

Selbst wenn man sich noch so sehr bemühen mag diesen Satz zu verinnerlichen, so ticken die Uhren auch auf diesem Kontinent – und wer hätte es gedacht, gefühlt fast genau so schnell wie zuhause…der letzte Sonnenuntergang am Strand, das letzte Serengeti Lite mit neu gewonnen Freunden und natürlich die vorerst letzte Fahrt mit dem wohl besten Verkehrsmittel in Tanzania – eMo Bodada 😊

2 Monate in Afrika werden aus mir keinen neuen Menschen machen, aber mich hoffentlich in manchen Situationen geerdeter und reifer reagieren lassen – ein bisschen mehr Hakuna Matata eben!

Ich werde auch weiterhin versuchen ab und an dem eMo BodaBoda Team zur Seite zu stehen. Den Willen und Mut, den einzelne Menschen aufbringen, um etwas zum Positiven zu verändern, verdienen neben der Wertschätzung eben auch ein wenig Unterstützung.

Als kleines Weihnachtsgeschenk würde ich mich freuen, wenn unter nachfolgendem Link genügend Geld für mein persönliches kleines Tanzania Projekt zustande kommt:

Go green with eMo Bodaboda

Asante Sana!

Improvisation und der Blick von Außen statt reiner Fachexpertise

Die Zeit vergeht wie im Fluge und die ersten Wochen meiner 2,5-monatigen Auszeit in Daressalam sind bereits vorbei.
Zeit für einen ersten Zwischenbericht.

Mein Arbeitsalltag ist so kreativ und abwechslungsreich, wie eigentlich das ganze Unternehmen Africraft – mein Projekt. Da meine Aufgabe vor allem die Verbesserung der Produktionsabläufe ist, verbringe ich in den ersten Tagen und Wochen viel Zeit in den kleinen Werkstätten auf dem Gelände, mit den Mitarbeitern und dem Produktionsleiter um die verschiedenen Verbesserungsideen zu entwickeln und umzusetzen. Die Herausforderung ist hierbei vor allem, dass wir die Dinge auch wirklich zu Ende bringen, bevor die nächste kreative Idee uns wieder ablenkt. Oft haben wir auch nicht immer alles Werkzeug oder Material zur Verfügung. Entweder heißt es also improvisieren, oder wir fahren los, um es auf einem der zahlreichen Markstände in Daressalam zu finden.
Neben der Produktion unterstütze ich mittlerweile auch in anderen Bereichen. Ich habe Marketingworkshops durchgeführt und zur Neustrukturierung der Webseite und der Struktur der Kundendatenbank Input gegeben. Oftmals ist ein wenig Struktur und der Blick von Außen das Wichtige und nicht zwingend die Fachexpertise.

Mittlerweile fühle ich mich schon komplett zum Team zugehörig. Das Wetter und das tolle Gelände auf dem wir arbeiten, lässt jeglichen Büroalltag vergessen und in diesem kreativen Startup-Umfeld macht es einfach Spaß zu arbeiten.
In der Freizeit geht’s entweder zum Yoga auf der Dachterasse, daneben gibt es Veranstaltungen oder auch eine gute Auswahl von Bars und Restaurants. Langweilig wird es also nicht. Die Wochenenden sind gefüllt mit Strand-Nachmittagen außerhalb der Stadt oder einem Kurztrip.
Anstatt eine größere Auszeit von der Auszeit zu machen, habe ich bereits mehrere kürzere Reisen gemacht. Dass ich dann auch mal einige Tage nicht da bin, ist nach Rücksprache für den Projektpartner kein Problem. Oft brauchen die „angeschobenen“ Dinge sowie ein wenig Zeit und außerdem komme ich oft mit neuen Ideen von den Reisen zurück. Meine Reisen führten mich bisher auf eine Safari in die Serengeti, in die Usambara-Mountains und nach Bagamoyo. Tansania ist auf jeden Fall eine Reise wert!


Die zweite Hälfte meiner Auszeit ist angebrochen und ich bin gespannt, was mich noch erwartet!

Halbzeit in Kigamboni /Tanzania

Das ich hier in einem fußballbegeisterten Land gelandet bin, war mir ebenso neu wie dass es auf unserem Planeten im 21. Jahrhundert noch urbane Bezirke ohne exakte Anschrift gibt. Aber genau um diese neuen Erkenntnisse geht es doch bei dem so oft angepriesenen Blick über den berühmten Tellerrand – raus aus der Komfortzone und rein in neues unbekanntes Terrain.

Die ersten 3 von insgesamt 6 planmäßigen Wochen als Volunteer bei Techno Roads Eye (eMo BodaBoda) hatten durchaus zahlreiches Neues zu bieten und haben mein Tagebuch schon jetzt mit der ein oder anderen unvergesslichen Geschichte gefüllt.

Anfangs konnte ich mir nicht im Geringsten vorstellen, wie ich innerhalb kürzester Zeit ein Gewinn für das Team sein sollte. Aufgrund der noch nicht vorhandenen Strukturen und Abläufe konnte ich hier meiner Kreativität jedoch endlich einmal freien Lauf lassen und deshalb hätten meine Aufgaben nicht unterschiedlicher sein können. Von Gesprächen mit neugierigen Kunden, Erstellung von Verkaufsunterlagen und Visitenkarten für das Team bis hin zur Einführung eines digitalen Kanbantools konnte ich mich komplett frei austoben.

Ich würde fast schon behaupten, mich nun richtig eingelebt zu haben…der Weg zur Arbeit und nach Hause ist längst kein zufälliges ausprobieren von Straßen mehr, die Integration im Team lies mich schon zum gefühlten zweiten Chef aufsteigen und im neuen Fitnessstudio bin ich schon längst keine Attraktion mehr.

Ehrlicherweise gibt es dann doch noch die ein oder andere Alltagssituation, die mir ein wenig Kopfzerbrechen zubereitet. Das Aufladen der Handykarte ist in meinen Augen noch genau so ein Mysterium wie der Stromkauf für die Unterkunft. Aber das schöne an diesem Ort der Welt ist, dass hier auf jeden Fall noch kein Meister vom Himmel gefallen ist und am Ende – wenn auch mit etwas mehr Zeitaufwand als gedacht – doch alles zumindest halbwegs funktioniert.

Ich würde sagen, die zweite Halbzeit kann kommen 😊

Social Sabbatical in Zeiten von Corona – Frohe Weihnachten am Strand (Teil 2)

In meinem Beitrag vor ca. 2 Monaten habe ich von meinen ersten Wochen in Tansania berichtet und mich gerade noch auf meinen „Urlaub von der Auszeit“ gefreut. Nun – gefühlt ein paar Tage und gleichzeitig eine Ewigkeit später – bin ich schon wieder zu Hause in Deutschland angekommen und habe so viele Erlebnisse im Gepäck, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll…

Zwar waren für meinen Urlaub einige Besucher aus der Heimat angekündigt gewesen, allerdings konnten sie aufgrund von Corona nicht kommen. Erstens hätten sie nach ihrer Rückreise in Quarantäne gehen müssen (und dafür hatte niemand genügend Urlaub) und zweitens war nicht klar, dass die Flüge zuverlässig fliegen oder die Grenzen nach Deutschland offenblieben. Also habe ich mich schließlich allein in das Abenteuer gestürzt.

Ich habe mit einer Wanderung auf den Kilimanjaro gestartet – ein echtes Erlebnis! Zwar bin ich auf der letzten Etappe Richtung Summit höhenkrank geworden und habe es deshalb nicht bis nach ganz oben geschafft, aber die Erlebnisse und Ausblicke waren es allemal wert.

Als nächstes habe ich mir die Stadt Arusha mit einem Guide angeschaut. Eine sehr schöne Stadt, die etwas kleiner und ruhiger ist als Dar es Salaam. Besonders der Großmarkt war interessant für mich.

Weiter ging es mit einer Safari im Tarangire National Park und dem Ngorongoro Krater. In zwei Tagen habe ich viele Tiere gesehen und eine atemberaubende Landschaft genossen. Hier nur ein paar Eindrücke.

Weihnachten habe ich dann schließlich auf Sansibar verbracht. Es war schon komisch ganz allein Weihnachten zu feiern und meine Lieben nur am Telefon zu hören und zu sehen. Dafür hatte ich bestes Wetter und konnte die Feiertage einmal in Badesachen am Strand verbringen. Das war mal eine ganz neue Erfahrung.

Passend zu Silvester bin ich mit der Fähre wieder zurück nach Dar es Salaam gefahren. Es war ganz verrückt, dass ich alles in meiner „neuen Heimat“ ganz anders wahrgenommen habe als vor dem Urlaub. Nun war alles, was vorher für mich so ungewohnt und neu war, plötzlich ganz vertraut und normal: die Verkehrsmittel, mein Haus (und ja, auch die vielen kleinen krabbelnden und fliegenden Tierchen), die afrikanischen Märkte, die Menschen, die mich als weiße Person ständig interessiert anschauen, … Ich hatte tatsächlich das Gefühl, nach Hause zu kommen und habe mich auch wieder auf den Alltag im Projekt gefreut.

Die Mädels im Projekt
…beim Unterricht

Während sich in Deutschland um den Jahreswechsel die Corona-Situation immer mehr verschärft hat und der Lockdown den Menschen auf das Gemüt schlug, konnte ich meine zweite Hälfte des Sabbaticals in vollen Zügen genießen. Wir konnten uns im Projekt und in der Freizeit mit anderen Menschen treffen, den einen oder anderen Tag am Strand verbringen und an den Wochenenden kleine Städtetrips machen.

Doch je näher die Rückreise nach Deutschland rückte, desto unruhiger wurde ich. Im Laufe der Zeit wurde immer wieder die Absage von Flügen diskutiert und als ein Einreisestopp nach Deutschland ins Gespräch kam, habe ich mich entschieden, so schnell wie möglich wieder zurückzufliegen.

Die Rückreise verlief dann auch nicht ganz reibungslos. Die Fluggesellschaft hat immer strengere Beschränkungen eingeführt, u.a. einen Corona-Test, dessen Frist in Tansania einfach gar nicht erfüllbar war. Nachdem ich zu meinem Corona-Test kein eindeutiges Ergebnis bekommen habe, konnte ich tatsächlich meinen Flug nicht wahrnehmen und musste auf eine andere Airline umbuchen. Das klingt zwar jetzt einfach und unkompliziert, aber das war es nicht. Trotzdem bin ich am Ende gesund und munter etwa eine Woche vor der geplanten Rückkehr zu Hause angekommen – nicht zuletzt durch viel Unterstützung durch meine Familie und Freunde zu Hause und vor Ort. Auch Elke von Manager für Menschen war eine riesige Hilfe.

Auch wenn die Rückreise am Ende etwas turbulent gelaufen ist, würde ich mich immer wieder für dieses Sabbatical entscheiden – auch in Corona-Zeiten! Unterm Strich habe ich drei Monate Lockdown durch viele spannende und bereichernde Erfahrungen sowie Begegnungen mit ganz tollen Menschen eingetauscht. Und nicht zu vergessen: ganz viel Sonne!

Social Sabbatical in Zeiten von Corona – Frohe Weihnachten am Strand

„Ist es nicht verantwortungslos in Zeiten von Corona nach Afrika zu reisen?“, „Was passiert, wenn du dort drüben krank wirst? Und im schlimmsten Fall den Einheimischen noch die Krankenbettkapazität wegnimmst?“, „Hast du keine Angst, das Virus aus Deutschland nach Tansania mitzunehmen?“ Ich bin Christin, 28 Jahre alt und diese und weitere Fragen haben mir meine Freunde, Familie und ich mir selbst vor einigen Wochen gestellt. Ich habe nämlich schon seit ca. 1 ½ Jahren mein Social Sabbatical geplant und nun sollte es im November 2020 endlich losgehen. Und dann kam Corona. Anfang des Jahres dachte ich, dass sich das Thema bis zu meinem Start schon erledigt haben würde und dann ging es immer wieder auf und ab. Nach ein paar Gesprächen mit Elke von Manager für Menschen wurde schnell klar, dass Tansania in dem Moment das einzige Einsatzland war, das ich ruhigen Gewissens besuchen könnte. Und weil Tansania sowieso auf meiner Favoritenliste ganz oben stand, war die Entscheidung irgendwann gefallen: Ich wollte meinen Plan trotz Corona durchziehen.

Nach zwei Stornierungen/Verschiebungen meines Fluges kam ich endlich am Abend des 10. Novembers frohen Mutes in Dar es Salaam an. Auf dem Weg aus dem Flughafen wies ein Schild mich darauf hin, dass ich den Mund-Nasen-Schutz nun nicht mehr brauchte und seitdem bekomme ich von der Pandemie nur noch etwas mit, wenn ich Kontakt zu meinen Lieben zu Hause habe. Ich wurde von einem netten Fahrer zu meinem für tansanische Verhältnisse sehr luxuriösem Haus gebracht und am nächsten Morgen ging es nach einem typisch tansanischen Frühstück direkt ins Projekt.

Das Projekt heißt WEEDO – Women Empowerment and Entrepreneurship Development Organization. Kurz gesagt geht es in dem Projekt darum, Mädchen und jungen Frauen im Alter zwischen 13 und 22 Jahren mit sehr schlechten Zukunftschancen einen Zugang zur Bildung zu verschaffen. Somit sollen sie unterstützt werden, unabhängig von ihren Familien und Männern zu werden. Ab dem nächsten Jahr sollen ca. 20 Teilnehmerinnen in einem einjährigen Programm hauptsächlich in Nähen, Englisch, Computer und Gesundheit & Hygiene unterrichtet werden. Meine Aufgabe ist es, gemeinsam mit Rehema, der Projektleiterin, etwas mehr Struktur in das Programm und ihren Alltag zu bringen und das Projektteam zu coachen. Dabei ist in den ersten Wochen meine größte Herausforderung, mich an die Arbeitseinstellung in diesem Land anzupassen und das tansanische Projektteam nicht zu überfordern. Dabei ist sehr viel Geduld gefragt und in diesem Fall passt der Spruch „weniger ist mehr“ hervorragend. Trotzdem machen wir schon in den ersten Wochen große Fortschritte. Auch wenn ich in den ersten Tagen ein wenig überfordert war von all den neuen Eindrücken und einem völlig anderen Leben, habe ich mich nach kurzer Zeit gut eingelebt. Ich musste mich daran gewöhnen, dass hier alles länger dauert (Wege von A nach B, einkaufen, kochen, arbeiten,…), ich viel Zeit mit Warten verbringe und ich als Weiße hier überall auffalle. Nach nun etwas mehr als vier Wochen habe ich mich schon ganz gut daran gewöhnt und fühle mich entschleunigt.

In meiner Freizeit kommt hier keine Langeweile auf! Es gibt viele Menschen, die mir gerne die Umgebung und die tansanische Kultur zeigen und ich bin insbesondere mit Rehema, der Projektleiterin, viel unterwegs. Die Fotos können meine Freizeitbeschäftigungen besser erzählen als viele Worte. Und wenn ich mal nichts zu tun habe, verbringe ich die Zeit am Strand oder auf meiner kleinen Terrasse.

Nach nun etwas mehr als vier Wochen freue ich mich auf meinen Urlaub von der Auszeit. Ich werde (versuchen) den Kilimanjaro (zu) besteigen, auf Safari gehen, mir die Stadt Arusha anschauen und über Weihnachten ein paar Tage auf Sansibar verbringen. Dieses Jahr wird Weihnachten also ganz anders als gewohnt. Aufgrund von Corona werde ich leider keinen Besuch aus Deutschland bekommen, wie es ursprünglich geplant war. Aber dafür kann ich einmal Weihnachten am Strand verbringen. Was ich auf meiner Reise erleben werde und wie es im Projekt weitergeht, werde ich im nächsten Jahr in einem neuen Beitrag berichten…

Zwischen Paradies und Panik

2009 war ich das erste Mal in Tanzania. Aus geplanten 3,5 Monaten wurden zunächst 7, dann immer häufigere Besuche und eine große Liebe zu Land und Leuten. Seit 2015 verbringe ich fast 6 Monate des Jahres in Tanzania. In Kigamboni, einem ruhigeren ländlicheren Distrikt vor den Toren der wirtschaftlichen Hauptstadt Dar-es-Salaam, direkt am Indischen Ozean.

Als ich am 3. Februar in den Flieger in Richtung meiner zweiten Heimat gestiegen bin, da wurde bereits über Covid-19 gesprochen. Das Virus war jedoch noch weit weg, in China. Möglicherweise gab es auch schon Fälle in Deutschland. Ich weiß es nicht mehr. Auf den Flughäfen sind vereinzelt Menschen mit Masken zu sehen gewesen, in Dar-es-Salaam wurde kurz meine Temperatur gemessen, aber das war es auch schon.
Heute, knapp 3 Monate später ist das Virus nicht mehr so weit entfernt. Drüben in der großen Stadt, vereinzelt in anderen Regionen und wenn man der letzten Info glauben darf, auch hier in Kigamboni.

In meinem kleinen Paradies sind dunkle Wolken aufgezogen.

Wie geht es uns hier mit Covid-19? Wie geht es mir? Ein kleiner Einblick in unser Leben mit Corona – aus meiner persönlichen Sicht und meiner persönlichen Einschätzung.

Corona in Tanzania – Erste Maßnahmen
Als am 16. März der erste bestätigte Corona-Fall in Tanzania veröffentlicht wurde, hat die Regierung sofort Maßnahmen eingeleitet.
Einrichtungen wie Kindertagesstätten bis hin zu Universitäten wurden mit sofortiger Wirkung geschlossen. Sportliche Großveranstaltungen, aber auch Musikevents wurden abgesagt. An jeder Ecke schossen plötzlich Eimer mit Wasser und Seife aus dem Boden, selbst an der ATM wurde ein Desinfektionsmittelspender installiert. Straßen wurden desinfiziert, Busse durften nur noch die Anzahl Passagiere wie Sitzmöglichkeiten befördern, an Fähre und Schnellbusstationen stand Hilfspersonal mit Desinfektionsmittel bereit.
Nach und nach wurden Touristen-Hotels geschlossen. Große Restaurants, Clubs und Bars. Ankommende Reisende via Flugzeug oder Land mussten 14 Tage in einem von der Regierung vorgeschrieben Hotel in Quarantäne, auf Selbstzahler-Basis.
Die neu bestätigten Zahlen stiegen langsam. Der Großteil der Infizierten waren Reisende, die gerade aus Europa oder Asien zurück kamen. Mittlerweile sprechen wir nun auch von Community transmission.

Seit dem 11. April sind alle internationalen Flüge bis auf Weiteres gestrichen. Nur noch Cargo-Maschinen sind erlaubt. Die Landes-Grenzen sind weiterhin offen, aber auch hier ist Quarantäne-Pflicht.
Seit diesem Montag, 20. April ist Maskenpflicht auf der Straße. Straßenlokale dürfen nur noch Take-Away anbieten, es ist ein Abstand von 2m einzuhalten und Märkte sind dazu aufgerufen, sich neu zu organisieren. Gotteshäuser bleiben weiterhin geöffnet.
Einen kompletten Lockdown wie in anderen Ländern gibt es bis dato noch nicht. Soll es laut unserem Präsidenten auch nicht geben.
Heute, am 22. April haben wir 284 offiziell bestätigte Fälle – davon der Großteil in Dar-es-Salaam, 11 Personen sind genesen und 10 Tote sind verzeichnet. Doch ich glaube nicht so recht daran, dass diese Zahlen stimmen. Sind es mehr und man sagt es uns nicht? Wird genug getestet? Wer wird getestet? Gibt es überhaupt genügend Test-Kits und Locations zum Testen?

Corona in Tanzania – Was bedeutet das für die Menschen hier?
In weiten Teilen und von außen betrachtet geht das Leben hier ganz normal weiter.
Bis vor kurzem waren Bars und Restaurants noch gut besucht. Kleinbusse in Kigamboni scheinen noch immer voll zu sein. Durch das Limitieren der Passagiere in den öffentlichen Verkehrsmitteln in der Stadt haben sich die Menschenmassen nun jedoch auf die Plattform oder die Straße verlagert. Am Strand treffen sich am Abend die Jugendlichen noch immer zum Fußball spielen oder sitzen zusammen. Und es gibt tatsächlich noch Restaurants, in denen man sitzen und essen kann. Maskenpflicht? Naja, Pflicht sieht anders aus.

 

Es scheint als ob viele die Situation und den Ernst der Lage lange nicht verstanden haben. Wie auch, wenn man in einem Land lebt in dem der Tod allgegenwärtig ist und Krankheiten wie Malaria und HIV, sowie Hunger an der Tagesordnung sind. Da sind die paar Corona-Fälle gelinde gesagt nichts.
Und wie auch, wenn man dem informellen Sektor angehört, der von der Hand in den Mund lebt und morgens aufsteht, um das Abendessen für die Familie zu verdienen. Da hat man ganz platt formuliert die Wahl zwischen Tod durch Hunger oder Corona.
Social Distancing geht hier so gut wie nicht. Und wenn, dann ist es nur etwas für Privilegierte. Menschen mit Autos, mit einem festen Einkommen, vielleicht sogar mit Rücklagen oder Selbstversorger mit eigenem Land.

Mittlerweile sind wir in der Regenzeit angelangt. Das macht die Situation nicht einfacher. Der Tourismus, einer unserer wichtigsten Einnahmequellen ist komplett zum Erliegen gekommen. Die vermutlich letzten Touristen werden morgen durch einen von den Niederländern organisierten Flug das Land verlassen. Wann wieder jemand ins Land kommt, steht in den Sternen.
Und so schließen nicht nur die letzten Hotels und Restaurants, auch Souvenirshops machen dicht und entlassen die Mitarbeiter. Alex, ein Bekannter der am Strand bunte Tücher verkauft sagte bereits letzte Woche zu mir. „Elke, maishi ni ngumu. Nakufa njaa.“ – Das Leben ist hart. Ich sterbe vor Hunger. Ein befreundeter DJ, der aufgrund der Schließung der Clubs nicht mehr auflegen kann, rief heute morgen an, er hat noch 1.000 TSH, also ca. 45 Cent. Und dabei sind wir erst am Anfang der Krise.

Corona in Tanzania – was macht das mit mir?
Ich wollte schon immer länger als 3 Monate am Stück in Tanzania bleiben. Dieser Traum wird jetzt wahr. Wenn auch nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. Da macht sich durchaus ein leicht beklemmendes Gefühl in mir breit. Denn in irgendeiner Art und Weise habe ich die Kontrolle verloren. Wenn ich emails von der Deutschen Botschaft bekomme, steigt mein Adrenalin-Spiegel, weil ich dann einfach schwarz auf weiß lese, was ich eigentlich weiß und gerne verdränge.

Ich bin privilegiert. Und das weiß ich aktuell noch mehr zu schätzen als sonst.
Ich habe ein Dach über dem Kopf. Ich kann aktuell noch fast jeden Tag an den 5 Minuten entfernten Strand – meinen Kraftort. Ich habe, wenn sich die Lage verschlechtert in der Tat die Möglichkeit mir einen Vorrat an Wasser und Lebensmitteln zuzulegen. Ich kann zuhause kochen, mir Lebensmittel ins Haus bringen lassen. Ich habe Freunde – hier und überall auf der Welt mit denen ich mich austausche und telefoniere. Denn Freunde, die in der Stadt oder weiter weg wohnen besuche ich aktuell einfach nicht.
Ich zähle mich nicht zur Risikogruppe, dennoch habe ich unterschwellig Angst krank zu werden. In einem Land in dem die medizinische Versorgung nicht wirklich gegeben ist.
Und an manchen Tagen frage ich mich auch, was passiert, wenn die Lage sich hier zuspitzt. Bin ich dann als Weiße, mit vermeintlich Geld in der Tasche, die vermeintlich das Virus nach Tanzania gebracht hat, noch sicher? Schon seit Wochen höre ich immer wieder Corona-Rufe, wenn ich auf dem Markt oder am Strand bin.

Manager für Menschen liegt aktuell auf Eis. Es kann keiner reisen, also kann auch keiner in einen freiwilligen Einsatz gehen. Und keiner weiß, wann das wieder möglich ist und ob meine potentiellen Kunden dann überhaupt Geld haben bzw. den Mut sich in einem sozialen Projekt zum Beispiel in einem afrikanischen Land zu engagieren. Vielmehr mache ich mir aber Sorgen um unseren kleinen Verein. Und um die Projekte, die wir unterstützen. Schaffen wir es unsere Paten zu halten, so dass wir auch im nächsten Jahr die Schulausbildung der Kinder finanzieren können? Bekommen wir in diesem Jahr genug spenden, um das Frauenprojekt aufrecht zu erhalten, aber auch – und ich glaube das wird in diesem Jahr wichtiger als je – um Notfallhilfe in Form von Lebensmittelpaketen oder Arztbesuchen zu stemmen?

Ich will keine Panik schüren, aber ich weiß, dass die nächsten Wochen hart werden. Für die meisten Tanzanier vermutlich noch härter.
Ich werde morgen nicht im Flugzeug nach Europa sitzen. Ich habe mich bewusst dafür entschieden hier zu bleiben, nicht davon zu laufen. In guten wie in schlechten Tagen. Ich weiß, dass wir es gemeinsam schaffen. Akzeptieren was ist und einfach Vertrauen ins Leben haben. Das ist gerade das, was wichtig ist.