Erste Eindrücke
Ich nutze das lange Wochenende in Indien – begründet durch den Nationalfeiertag am 15. August – meine Eindrücke aus den ersten eineinhalb Wochen zu sammeln. Endlich komme ich dazu und habe ein wenig Ruhe, denn die ersten Tagen waren doch sehr aufregend und turbulent:
Angekommen in der Joybells School wurde ich zunächst sehr herzlich und offen von der Familie Singh und den insgesamt 36 Kindern im Alter zwischen 4 und 15 Jahren empfangen. Die Kinder sind es gewohnt, dass wechselnde Volunteers zum Unterrichten an die Joybells School kommen – insofern wirkten die Umarmungen anfangs auf mich mehr aus einer Verpflichtung und Höflichkeit heraus. Sobald sie mich dann etwas besser kannten, kam das Interesse und das Bedürfnis nach Nähe und Aufmerksamkeit wie von selbst – man kann sich schließlich gar nicht mehr retten vor Kindern, die auf einem herum klettern, die Hand halten oder einem einfach nur nahe sein wollen. Wirklich herzzerreißend süß!
Da in der ersten Woche meines Einsatzes noch eine Gruppe von 12 englischen Volunteers vor Ort war (2 englische Lehrer mit einer Gruppe ihrer Schülerinnen), konnte ich die ersten Tage viel mitlaufen, beobachten und mich in die ganze Situation einfühlen. Col SS Singh und Althea Joy Singh – die Gründer und Leiter der Schule – haben sich viel Zeit genommen, mit mir über meinen Einsatz hier zu sprechen und mir wertvolle Einblicke in die Entstehung und Philosophie der Einrichtung sowie ihrer persönlichen Haltung und dem Background der Kinder gegeben. Meine anfängliche Befürchtung sie könnten mich wie die sonst üblichen Volunteers nur in der Rolle als Lehrerin sehen wich einem Gefühl der Erleichterung, als sie mir signalisierten, sie sähen in mir auch einen Mehrwert in anderen Bereichen – jenseits des klassischen Unterrichts. Als wir uns auf folgende Haupteinsatzfelder verständigt haben, waren sie sich einig, dass ich genau die richtige Person zum richtigen Zeitpunkt wäre – schmeichelnd auf der einen Seite, aber auch gleichzeitig mit einem mir selbst auferlegten hohen Erwartungsdruck verbunden, sie in dieser Auffassung nicht enttäuschen zu wollen:
1.) „Karriere-/ Berufslaufbahnberatung“: ich werde im Rahmen von Einzelcoaching mit den älteren Schülern jeweils an der persönlichen Vorstellung arbeiten, was sie gut können, was ihnen Spaß macht, worin ihre beruflichen Träume bestehen und wie sie diese erreichen können – natürlich kann das in einem Alter von 13-15 Jahren noch nicht konkret festgesetzt werden, aber wir wollen damit einen ersten „Samen pflanzen“ und eine Basis schaffen.
2.) „Value-, Skills- und Kompetenztraining“: Neben diesen konkreten Ideen für jeden Einzelnen sollen sie auch für übergreifende Skills und Kompetenzen sensibilisiert werden, die für einen späteren beruflichen Erfolg ausschlaggebend sind (z.B. Führungs-, Kommunikations- und Teamkompetenzen) und gleichzeitig ihre Reflexionsfähigkeit darin schulen, wo und wie sie das im Alltag an der Joybells School eh schon lernen und erfahren. Dabei war den Singhs die Thematisierung von Werten wie z. B. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit wichtig – nicht unbedingt eine typische indische Haltung ;-) Col S.S. und Joy haben ihre eigene Vision, dass die Kinder irgendwann im internationalen Kontext arbeiten (sie haben privat ein großes internationales Netzwerk, was sie dafür nutzen können) und erst mal frei über Berufe träumen können. Hierzu ist es jedoch wichtig, dass sie sich später in diesem Kontext auch bewegen und anpassen können.
3.) „Projektarbeit„: Für das Value-, Skills- und Kompetenztraining steht noch im Raum, mir ein Projekt zu überlegen, um es erfahrbar/ erlebbar zu machen. Ggf. passen auch Übungen aus meinem Trainingskontext (Indoor- wie Outdoor), da diese auch immer praktisch und greifbar sind und danach reflektieren werden können. Ein Projekt hätte den Vorteil, dass ich mit ihnen gleichzeitig auch etwas zum Thema „Projektmanagement“ machen könnte. Aber das wird sich noch zeigen.
4.) „Deutschunterricht“: Neben den übergreifenden Themen werde ich mit den übrigen Kindern an ihren Deutschkenntnissen arbeiten. Klingt im ersten Moment evtl. seltsam, aber ich denke, auch das ist in mehrerlei Hinsicht brauchbar: Col S.S. Singh hat eine Reiseagentur mit vielen deutschen Kunden – darüber hinaus hat der Premierminister von Indien erst heute in seiner Rede zum Nationalfeiertag betont, dass der Tourismus in Indien eine wichtige Rolle ist – und Deutsche reisen gerne ( also ein potentielles späteres Betätigungsfeld für die Kinder). Außerdem gibt ein großes deutschsprachiges Netzwerk an persönlichen Kontakten und Support für die Joybells School. Mir persönlich liegt bei Deutschunterricht vor allem am Herzen, dass die Nachhaltigkeit durch weitere deutschsprachige Volunteers sichergestellt werden kann und es sich nicht nur um einen „one shot“ handelt.
Insgesamt fühlt sich für mich der Projektauftrag rund an und ich denke, dass ich mit meinem Trainings- und Coachingbackground hier tatsächlich einen Mehrwert stiften kann. Ich wollte ein Projekt das „hands on“ ist und das habe ich hiermit auch :) Jetzt gilt es das Ganze mit Leben zu füllen, denn am Montag geht es direkt mit dem neuen Stunden- und Lehrplan los, den wir dafür eigens ausgearbeitet haben.
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